Bezirksgericht Urfahr: 13 Mal Peng und aus

Selten, aber auch möglich in Österreich: Ehrenjustiz mit der eigenen Waffe. Am 9. März 1995 räumte ein oberösterreichischer Rentner in Linz-Urfahr mit der Justiz auf. Auf seine Weise. Fazit: Fünf Leichen und akute Reformen, von denen eine nun wieder abgeschwächt wurde. (Quelle: RZ 1988, Kopie: Marcus J. Oswald)

(Wien/Linz, im April 2005) Dieser Tage jährte sich zum zehnten Mal ein Fanal, das es nicht alle Tage gibt. Meist ist es bei Gericht so, dass man vom Gewaltmonopol des Staates spricht, das legitimierte Gewalt auf den Bürger ausübt.

Am 9. März 1995 war weniger klar, wer der Böse ist. Es war eine zivilgerichtliche Verhandlung am Bezirksgericht Linz-Urfahr, die den tödlichen Stein ins Rollen brachte. Es gab mehrere böse Geister im Umfeld. Zumindest aus Sicht des Amokläufers.

Stiefschwesterliche Verhältnisse: Hoheit und Gleichrangigkeit

Vorweg: Der Unterschied zwischen Strafrecht und Zivilrecht ist, laut Theorie, dass beim österreichischen Strafprozess zwischen Staatsanwalt und Bürger ein Hoheitsverhältnis herrscht, während beim Zivilprozess vor einem Bezirksgericht ein Gleichrangigkeitsverhältnis zwischen den Parteien vor einem Richter besteht.

Deshalb sitzt beim Strafprozess manchmal die Justizwache im Saal, um – bei schweren Anklagen – Staatsanwälte und Richter vor den Konsequenzen ihrer Arbeit im Namen der herrschenden Macht (Republik) zu schützen. Nicht immer ist etwas zu schützen. Mitte der 90er Jahre gab es am Landesgericht Wien einen Strafprozess, bei dem der Angeklagte, aus seiner Sicht unzufrieden mit dem Urteil, nach dessen Verkündigung zum Richtertisch sprang und dem Herrn Rat das Jochbein brach. Dafür gab es drei Jahre Haft zusätzlich. Und Genugtuung – wohl auf beiden Seiten.

Nachbarschaftsstreit mit Folgen: 13 Schüsse

Am 9. März 1995 ging es um nicht viel. Eine Ehrenbeleidigung in Bad Mühllacken im Mühlviertel. Ein kleiner Zivilprozess, in dem der 63-jährige Rentner K. am Bezirksgericht Urfahr Beklagter war. Keine große Sache: Gleichrangigkeitsverhältnis zwischen den Parteien. Keine Haftandrohung. Keine Presse. Routine im Alltag am kleinen Vorstadtgericht. Offenbar wurde aber die Ehre eines Mannes verletzt. Am Ende räumte der unterlegene Beklagte auf seine Weise mit der Justiz auf und fegte den Saal leer.

K. eliminierte die Richter Eugen Kordik (36) und Erwin Streinesberger (40), den Anwalt der Klägerpartei, Alfred Eichler (67), den Lebensgefährten der Hauptzeugin, Ludwig Schürz (55), deren Tochter Heidemarie Schinkinger (33). Der Linzer Rechtspraktikant Gerald Kocher (28) und die Anwaltskonzipientin Maria Navarro (30) wurden durch Schüsse in Hals, Knie und Bein mittelschwer bis schwer verletzt. Der Rentner K. exekutierte sich kurze Zeit später im Gerichtsgebäude mit seiner Baretta.

Nur die Hauptzeugin und Klägerin, die damals 59-jährige Christine Gierlinger, überlebte unverletzt. Sie ist heute 69 Jahre alt.

In Linz beginnt’s: Reformgeist

Danach war die inszenierte Bestürzung groß. Medien berichteten ausführlich. Frauen zitterten. Mütter hielten ihren Kindern die Hand vors Gesicht. Der Stammtisch bebte. Politiker sind armselige Figuren. Solche Ereignisse führen zu Anlassgesetzgebung. Private Sicherheitsdienste witterten Morgenluft und wurden beim Innenminister vorstellig.

Waffengesetz Neu

Als ob der Nachbarschaftsstreit des Rentners K. aus Bad Mühllacken irgend etwas mit dem Rest Österreichs zu tun gehabt hätte, wurde 1996 das Waffengesetz verschärft. § 30 Abs 1 des Waffengesetzes verpflichtete nun, auch Erbstücke aus Verlassenschaften („Witwenregelung“) umgehend dem Waffenhändler Ihrer Wahl zu melden. Waffenhändler wurden in den Rang von „Waffenmeldebehörden“ erhoben.

Legale Schleusungen: Sicherung der Gerichtgebäude

Zweiter Schritt: Bessere Sicherung der Gerichtsgebäude. Zu diesem Zweck wurde im Eilverfahren das Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) novelliert. Bis 1995 war es spielerisch möglich, mit einer Pistole im Hosenbund ein Gerichtsgebäude zu betreten. Nun wurde die „Dritte Staatsmacht“, private Sicherheitsdienste, aufgewertet. Sektionschef Wolfang Fellner, zugleich Boss der Gnadenkommission im Justizministerium, im Vorleben Staatsanwalt und Richter, veröffentlichte einen dicken Gesetzeskommentar zum einschlägigen Thema. 1996 wurden 400 Gerichtshöfe mit zusätzlichen Sicherheitsbediensteten und Steuergeld ausgestattet.

Im Landesgericht Wien ging man noch einen Schritt weiter. Beim Hintereingang Wickenburggasse 18-22 wurde eine Vollglaswand eingebaut, die nun zwei in dieser Glaswand integrierte Sicherheitsschleusen hat. Das Ganze kostete viel Geld und dem Besucher sehr viel Zeit.

Wenn dem Gerichtsbesucher ab nun jemand zwischen die Beine greift, muss es nicht Mutti sein. Dienstleister wie Group 4, Securitas, ÖWD sorgen nun bei Vorder- und Hintereingängen an den neu aufgestellten Detektor-Schleusen für subjektive Sicherheit. (Foto: Archiv)

Rolle zurück: Schleuse in Urfahr wieder eingestellt

Dann geschah folgendes: Dieser Tage wurde bekannt, dass gerade am Ausgangspunkt der behördenseitigen Selbstschutzmassnahme an Gerichtshöfen (noch nicht eingeführt bei: Sozialämtern, AMS, Schulen, Unis, Spitäler, Kirchen und überall dort, wo Menschen aus und ein gehen) diese wieder eingestellt wurde!

Mitte März 2005 wurde bekannt, dass exakt am Ausgangspunkt der selbstverordneten Parnoia der Staatsbeamten, die sich vor ihren Bürgern fürchten, im 1905 erbauten Bezirksgericht Linz-Urfahr in der Ferihumerstraße 1, die Schleuse und der Sicherheitsdienst rückgebaut wurden. Weil es zu teuer wurde.

Marcus J. Oswald (Ressort: Gerichte)

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