Fussfessel steht im Blickfeld – Erste Promis stellen sich an

Ab Ende September 2010 winkt manchem zahlungskräftigem Häftling die Freiheit mit der Fussfessel. (Foto: Oswald, Josefstadt, 06_2005).

(Wien, im September 2010) Man muss künftig in drei Arten von Häftlingen unterscheiden. In die Weicheier, die Angst vor Freiheitsentzug haben, weil sie an irdischen Dingen wie Geld, Auto, Wein, Weib und Gesang hängen. In die härter Gesottenen, die sich jeder Haft stellen und sicher keinen Fussschmuck beantragen, weil sie bestensfalls die Fussfessel der Gattin schätzen, aber keine am eigenen Bein. Drittens gibt es eine Gruppe, die es sich nicht leisten kann, weil arbeitslos, was ja nicht selten unter Rechtsbrechern sein soll. Strafrecht bleibt ein eigenes Terrain.

Seit 1. September 2010 gibt es nun die theoretische Möglichkeit der sensorüberwachten und kostenpflichtigen Fussfessel. Die Sommerpause endete mit Ende August und nun kommen erste Anträge nach § 156 StVG zu Verhandlungen vor dem sogenannten Haftrichter in den diversen 14 österreichischen Landesgerichten. Aktuell sollen 40 hängige Verfahren laufen, die in einem ersten Schwung Ende September abgehandelt sind.

Die Haftrichter haben zu entscheiden, ob die Voraussetzungen gegeben sind: Reststrafe nicht über 12 Monate, geeignete Unterkunft, geeignete Beschäftigung, ein Einkommen, mit dem der Ex-Häftling seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (AMS gilt nicht!), Kranken- und Unfallversicherungsschutz. Die Kosten der Fussfessel soll sich in etwa auf 22 Euro pro Tag belaufen, also auf 660 Euro im Monat, die an den Staat abzuführen sind. Wie sich das zum Beispiel bei einem alimentations- und unterhaltsverpflichteten Mann ausgehen soll, kann nur der wissen, der es freiwillig zahlen will.

Der Preis der Freiheit

Das jedenfalls ist der Preis der Freiheit. Den Preis der Freiheit können einige leisten. Alte, gediegene Häftlinge, die ein langes Leben an der Spitze von Unternehmen hinter sich haben und ein Old-Boys-Netzwerk an der Seite. Helmut Elsner ist so einer. Er ist nun 75 Jahre alt und war mehr als dreißig Jahre in Lohn und Brot, davon die letzten Jahre „General“ einer Bank. Er kann sich viele Anwälte leisten und er kann sich sicher auch die 22 Euro pro Tag für den erkauften „Hausarrest“ leisten. Er ginge nicht „auf Bewährung“ frei, sondern, da er noch in Untersuchungshaft ist, „in Hausarrest“ in seine Nobelwohnung am Wiener Fleischmarkt, die allerdings mittlerweile an Billa-Gründer Wlaschek verkauft sein soll. Doch irgendwo wird es schon eine Bleibe für den Senior geben.

Mitleid haben die Unerfahrenen

Mit dem übrigens viele auf einmal großes Mitleid haben. „3.5 Jahre sitzt der schon in Untersuchungshaft“, hört man am Landesgericht Wien immer wieder in Gesprächen mit Gästen oder Besuchern, die in Prozessen sitzen. Auch in der Stadtbevölkerung Wiens wird das zunehmend bedauert.

Diese Leute vergessen eines: Die bisherigen 40 Monate decken gerade die erste Haftstrafe für den Plastiksackerl-Kredit (650.000 Euro) an Ex-Konsum-Chef Hermann Gerharter ab, für den Elsner 2.5 Jahre unbedingte Haft nach „Untreue“ erhalten hatte. Im großen Hauptverfahren das megalomanische 118 Tage dauerte, kassierte er noch einmal 9.5 Jahre Haft. So ist halt die Gerichtsbarkeit: Wenn sich ein Angeklagter vor Gericht komplett nichtsahnend stellt, gibt es halt mehr Schmalz – und Elsner, das wird immer wieder vergessen, war 118 Tage lang „nicht geständig“. Wenn nun Leute sagen, dass 3.5 Jahre U-Haft zu viel sind, mag das im Ansatz richtig sein und es sind die Obergerichte zu rügen, dass mit der Rechtskraft so wenig weitergeht. Doch gemessen am Gesamtstrafmaß von 12 Jahren, ist die bisher abgediente Haftzeit gerade erst einmal ein erstes, schwaches Drittel.

16. Haftentlassungsantrag

Wie immer das ist: Helmut Elser stellt sich nun in seinem 16. Haftentlassungsantrag um die Freiheit an. Der 15. Enthaftungsantrag wurde durch das OLG Wien abgelehnt, da das Krankheitsgutachten eher eine – wie man so sagt – kleine Gefälligkeit eines befreundeten Arztes war und die gesundheitliche Lage nicht gar so dramatisch ist.

Neu ist nun, dass es seit 1. September 2010 eine teilweise geänderte Gesetzeslage gibt. Elsner muss nun nicht mehr den sterbenden Schwan spielen, sondern kann, fit im Kopf, was er ja ist, sagen: „Herr Rat, ich beantrage Fussfessel.“ Dann muss er nur eine fingierte Arbeitsbestätigung eines seiner Freunde aus dem Old-Boys-Netzwerk vorlegen, dass er „in Arbeit steht“ und dann muss ihm irgendwer die 22 Euro pro Tag zusammen legen, damit er bei der Justiz nicht in Zahlungsverzug kommt. Das wäre nämlich ein Widerrufsgrund für die Fussfessel. Die Chancen bei seiner 16. Haftverhandlung stehen nach dem neuen Gesetz besser als je zuvor. Wenn er dann aber wieder Zeitungsinterviews gibt, in der er erneut die Justizministerin als „primitiv“ und „dumm“ hinstellt, könnte sein, dass das ein Widerrufsgrund ist.

Der „so erfolgreiche Bankier“ (Thomas Klestil) muss also auch seine altersbedingte Renitenz während des „Hausarrests“ im Griff halten. Schweigen war nie seine Sache.

Doch vielleicht helfen auch solche Freunde über die Runden und halten ihm den Mund zu: Denn am 10. Oktober 2010 sind in Wien Regional-Wahlen.

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Update, 22. September 2010 (mjo):

Helmut Elsner wird als „Fussfesselkandidat“ abgelehnt, sein 16. Haftentlassungsantrag wird von Richter Christian Böhm am Landesgericht Wien verworfen. Offizieller Grund ist ein Bügelzimmer in seiner 260 Quadratmeter-Wohnung, das das Signal nicht auffängt. Wahrheit sind zwei durchaus reale Gründe: 1. Elsner bekäme nur „Hausarrest“, da er Untersuchungshäftling ist und er hat sich geweigert „im Haus“ zu bleiben. Er will es individuell gestalten. 2. Elsner ist vom Strafmaß kein Lercherl (12 Jahre Gesamthaft) und mit dem Schadensmaß beinahe Rekordhalter: 1,72 Mrd. Euro (!) zugerechneter Schaden. Daher ist verständliche Ansicht, dass man gerade ihn nicht als Musterträger der Elektronischen Fussfessel einsetzen will, da sowohl Strafhöhe wie extreme Schadenshöhe Ausschließungsgründe sind, die nicht nur Sache der Beweiswürdigung des Haftrichters, sondern auch für den durchschnittlichen normunterworfenen Bürger verständlich sind.

Welche Leute sich weiters um die Fussfessel anstellen, zeigt sich am anderen Beispiel: Auer von Welsbach. Er sitzt gerade einmal vier Monate in U-Haft und will schon wieder hinaus! Der bullige Finanzkeiler verkennt seine Lage komplett und meint noch immer das Ruder seines Sportbootes in der Hand zu haben. Doch ihm wird von der Staatsanwaltschaft „Schwerer Gewerbsmäßiger Betrug“ in der fulminanten Schadenshöhe von 460 Millionen Euro (!) zur Last gelegt (6,3 Milliarden ATS!). Klarer Fall für eine Ablehnung der Fussfessel und korrekte Entscheidung in Klagenfurt, das zurecht dagegen entschieden hat.

Die Fussfessel ist auf Strafrechtsebene nur für Leute geeignet, die eine Reststrafe von weniger als zwölf Monaten haben oder eine sehr kleine Gesamtstrafe, die unter einem Jahr liegt. Dieses Modell „unter ein Jahr“ wird auch in Zukunft der Gradmesser für die Vergabe der Elektronischen Fessel bei U-Haft sein: Wenn die Haftaussicht schmal bleibt. Sonst eben nicht. Es muss auch ein letzter Faden Rechtssicherheit gegeben bleiben. Nur Reiche und Superreiche mit superlangen (zu erwartenden) Haftstrafen und superhohen Schadenssummen werden in Österreich nie in den Genuss der Fessel kommen, das ist die klare Prognose dieses Journals. Es sei denn, im letzten Jahr ihrer Haftstrafe. Aber nie vor einem Strafverfahren oder vor Rechtskraft, so die Strafandrohung hoch ist. Da können sich Zeitungen noch so intensiv von der lieben Frau Elsner, die leider sehr, sehr rechtsunkundig ist und nur an den eigenen Fall denkt, aber nicht an das Gesamtgefüge des Rechtssystems, einspannen lassen und polemisieren. Die Fussfessel kann keine Intensivtäter begünstigen. Und, ganz wichtig: Sie wird auch in Zukunft nur bei Leuten in der Praxis zur Anwendung kommen, die im Strafverfahren reumütig geständig und einsichtig waren. Das war Elsner nicht und das wird Auer-Welsbach nicht sein.

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Mit Status 22. September, also drei Wochen nach Start des Fussfessel-Paragrafen, haben laut Auskunft in der Strafvollzugsdirektion 95 Personen eine Fussfessel beantragt. Sie wurde bei Strafhäftlingen mit einer entsprechend kurzen Restlaufzeit bisher zwei Mal bewilligt: Ein Mann aus Salzburg und einer aus Kärnten. Bis Ende des Monats September werden zwei bis drei weitere in Strafhaft befindliche Männer die Bewilligung erhalten, sagt der stellvertretende Direktor der Vollzugsdirektion Oberst Peter Prechtl.

Bei der Fussfessel für „U-Häftlinge“ wurden bisher alle Anträge abgelehnt, weil die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Schlechte Voraussetzungen können sein: Zu hohe Haftandrohung, Verdunkelungsgefahr in Freiheit, Tatbegehungsgefahr in Freiheit, Fluchtgefahr (auf Grund der hohen Straferwartung). Bei der Auswahl der Massstäbe für die Fussfessel gelten die gleichen, nur negativ gesetzten Kriterien wie bei der Verhängung der U-Haft. Darin liegt die Schwierigkeit: Wurde jemand wegen Tatbegehungsgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Fluchtgefahr in U-Haft genommen, braucht es plötzlich negative Ausschließungsgründe, dass das auf einmal nicht mehr gegeben ist, wenn der U-Häftling nur brav zu Hause sitzt. Das wird sehr schwierig zu argumentieren sein und untergräbt die Autorität von Gerichten schlagartig, die ja zuvor eine U-Haft verhängt haben. Verkürzt gesagt: Galt lange die Alternative nach dem Motto „Tertium non datur“ U-Haft oder Freier Fuss, besteht nun ein „Tertium“, ein „Drittes“, keine U-Haft, aber auch nicht auf Freiem Fuß, sondern mit Fessel auf dem Fuss in Freiheit!

Fazit: Dieses Journal behauptet ab nun Stock und Steif, dass die Fussfessel bei U-Häftlingen so gut wie nie angewendet wird, sondern nur bei Strafhäftlingen zur minimalen Entlastung der Strafhäuser. Die Belagssitutation in den 14 Gerichtsgefängnissen wird komplett gleich bleiben.

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Update, 2. Oktober 2010 (mjo):

Wie heute bekannt wird, ist ein neuer Fussfesselkandiat Hermann Gerharter. Das berichtet die Zeitung „Österreich“ (2. Oktober 2010, Wirtschaft S. 24). Offenbar wurde seine Strafe vom Prozesstag 99-101 innerhalb des damaligen BAWAG-Prozesses (1-118) schon rechtskräftig. Er erhielt 24 Monate teilbedingt für die Annahme eines Plastiksackerlkredites von Helmut Elsner in der Höhe von 650.000 Euro. Die Annahme, dass Gerharters Urteil rechtskräftig ist, ist nicht falsch, denn er beantragte Haftaufschub. Haftaufschub beantragt nur jemand, dessen Urteil rechtskräftig ist. Gerharters Antrag auf Aufschub ist vom OLG Wien abgewiesen worden (Anwalt Manfred Ainedter). Nun will Gerharter die Fussfessel! Dazu ist zu sagen: Er hat Berechtigung und solide Chancen, die Fessel zu bekommen. Denn er bekam nur sechs Monate unbedingte Haftstrafe und genau für solche Fälle wurde die Fussfessel konzipiert. Nicht aber für Helmut Elsner, der für die Vergabe des Plastiksackerlkredites 2.5 Jahre unbedingte Haft erhielt und 9.5 Jahre im Hauptprozess dazu – in Summe zwölf Jahre Gefängnis.

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Empfohlen (rekommandiert)!
Helmut Elsner – Noch drei Tage (29. Dezember 2008, Gericht und Gefangen)
Helmut Elsner kann Hafterleichterung nach Interview verlieren (23. September 2008)

Marcus J. Oswald (Ressort: Fussfessel)

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